„Grundpfeiler des Respekts zerschlagen“
Gedenkstunde: Am Samstag jährte sich die Reichspogromnacht zum 86. Mal
Montag, 11. November 2024 | Stadt Paderborn - Auf dem Platz „An der alten Synagoge“ in der Paderborner Innenstadt, wo seit 1993 das aus gelben und roten Ziegelsteinen gestaltete jüdische Mahnmal des dänischen Künstlers Per Kirkeby steht, herrschte Samstagabend bedrückende Stille. Rund 350 Menschen gedachten vor der Skulptur, die mit ihren drei Rundbögen an die Architektur der am 10. November 1938 in Brand gesetzten Synagoge erinnert, den Opfern der Reichspogromnacht. Diese jährte sich zum 86. Mal, hat aber bis heute nichts von ihrem Schrecken verloren.
Eingeladen zur Gedenkstunde hatten die Stadt Paderborn und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Paderborn. „Wir gedenken heute des ungeheuren Zivilisationsbruchs vom 9. November 1938“, sagte die katholische Vorsitzende der GCJZ, Monika Schrader-Bewermeier. In der Reichspogromnacht wurden deutschlandweit mehrere hundert Jüdinnen und Juden ermordet, zahlreiche weitere nahmen sich das Leben. Tausende jüdische Geschäfte wurden geplündert und zerstört und mehr als 1.400 Synagogen niedergebrannt.
„In der Reichspogromnacht wurden nicht nur Synagogen in Brand gesetzt und Geschäfte verwüstet, sondern es wurden auch die Grundpfeiler der Menschlichkeit und des Respektes zerschlagen“, machte Bürgermeister Michael Dreier deutlich. „Diese Nacht hat gezeigt, wie schnell sich das Gesicht der Gesellschaft verändern kann, wenn Hass und Intoleranz die Oberhand gewinnen. Wir haben erfahren, wohin es führt, wenn Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte missachtet werden, wenn Terror mit staatlicher Duldung und von Organen des Staates selbst ausgeübt wird.“
So mahnte Dreier dann auch, wie wichtig es sei, wachsam zu bleiben. „Es liegt an uns, die Werte von Mitgefühl und Solidarität zu leben und zu verbreiten“, sagte er und bat die Anwesenden, stets aufmerksam und wachsam zu sein.
In seiner Gedenkansprache beschäftigte sich der Leiter des Stadt- und Kreisarchivs Paderborn und Vertreter der Stadt im Vorstand der GCJZ Paderborn, Wilhelm Grabe, mit der Frage, wie man sich in Paderborn mit der Erinnerung an die Shoa auseinandergesetzt hat. So habe die Erinnerung an das Leid der jüdischen Bevölkerung Paderborns nach 1945 mehrere Phasen durchlebt. Am 9. November 1963 wurde erstmals öffentlich an den Novemberpogrom erinnert. „Aus zivilgesellschaftlichem Engagement entwickelte sich ab 1978 peu à peu die heutige Gedenkkultur“, sagte Grabe. „Nach der Gründung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 1987 intensivierte auch die Stadt Paderborn ihre Erinnerungsarbeit.“ So wurde beispielsweise das Mahnmal an der alten Synagoge am 9. November 1993 durch Bürgermeister Willi Lüke eingeweiht. Grabe: „Auf acht Bronzetafeln stehen die Namen der 110 ermordeten Paderborner Jüdinnen und Juden, die damit – endlich – aus der Anonymität und dem Vergessen zurückgeholt worden waren.“
Die Paderborner Erinnerungslandschaft habe sich seitdem stetig weiterentwickelt: So erinnern zum Beispiel Straßenbenennungen heute an prominente jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Zudem sind weitere Erinnerungsorte entstanden, darunter eine Gedenkstele am ehemaligen jüdischen Waisenhaus (1990), ein Gedenkstein für Jenny Aloni im Paderquellgebiet (1999) sowie eine Erinnerungstafel am Haus Grünebaum (2024).
„Für weite Teile der Gesellschaft ist die Erinnerung an den 9. November 1938 bedeutungslos“, stellte der Stadtarchivar fest. „Arbeiten wir also weiter daran, nicht in ,Gedenktagsroutine‘ zu erstarren. Erinnerungskultur bedeutet mehr als das ritualisierte Gedenken an einem bestimmten Tag.“
Im Anschluss an die Gedenkansprache verlasen Schülerinnen und Schüler der Heinz-Nixdorf-Gesamtschule die Namen der ermordeten Paderborner Jüdinnen und Juden. Nach der Kranzniederlegung durch Auszubildende der Stadt Paderborn sprach Xenia Nickel, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde und jüdische Vorsitzende der GCJZ, das Gebet „El Male Rachamim“ und las aus dem 5. Buch Mose. Den Abschluss der Gedenkstunde, die musikalisch von Dieter Nowak und Timur Isakov begleitet wurde, bildete das Anzünden und Abstellen der Kerzen vor dem Mahnmal.
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